neo auf der LocWorld in Tokyo

Vom 3. April bis 5. April fand in Tokyo die 36. LocWorld-Konferenz statt. Das vorherrschende Thema „Digital Transformation“ war nicht überraschend, ist doch KI, Digitalisierung, Internet of Things, Big Data seit Monaten verstärkt in aller Munde und beschäftigt Fachleute aller Branchen und Geschäftsbereiche. An der LocWorld36 wurden all diese Themen im Kontext der Lokalisierungs- und Sprachindustrie diskutiert.

Besonders interessant waren für uns Vorträge und Diskussionen, die einen direkten Bezug zu Japan hatten oder den asiatischen Raum im Fokus hatten. Der japanische Markt ist spannend und herausfordernd zugleich. Für Übersetzungsdienstleister vor allem wenn es um ausgebildete FachübersetzerInnen geht, die gleichzeitig aus dem Deutschen und das mit einem der gängigen CAT-Tools übersetzen können, oder wollen.

Fangen wir von vorne an.

Swati Narwal von IKEA hat darüber gesprochen, wie IKEA in mehr als 50 Sprachen ein einheitliches „Tone of Voice“ erreicht. Dabei sind natürlich nicht die uns allen bekannten Anleitungen gemeint, die ja kaum Sprache enthalten sondern Kataloge, Websites, Newsletter etc., die in diversen Landessprachen bei IKEA vorliegen. Es war erstaunlich zu hören, dass IKEA (noch) weder eine einheitliche Terminologie, noch Technologie oder Style Guide besitzt und die Übersetzungen dezentral in den jeweiligen Märkten, individuell erarbeitet werden. Die jeweiligen Übersetzungsfirmen werden spezifisch auf das Wording von IKEA, teilweise einmal pro Jahr vor Ort in Schweden geschult und entscheiden dann selbst welcher Stil die Firmenphilosophie und – kultur wiedergibt. Überprüft wird das durch Rückübersetzungen, ein unerwarteter und verblüffender Ansatz. IKEA expandiert aktuell stark auf den asiatischen Markt, ein besonders vielversprechender Markt ist Indien. Wie wird IKEA dort mit den 22 offiziell anerkannten Landessprachen umgehen? Die Antwort darauf bedauerlich für Swati Narwal, die gebürtige Inderin ist, und etwas überraschend für uns: eigentlich gar nicht, für den Markteintritt ist nur Englisch geplant.

Yoko Chiba, Miyuki Mori und Mai Sawamura von „Women in Localization“ haben im Rahmen einer Podiumsdiskussion über Japanisch in Japan gesprochen. Schwerpunktthema dabei waren die Marktkorrekturen unter Beteiligung von japanischen Niederlassungen und die Auswirkungen des Einsatzes von CAT-Technologien auf die Qualität der japanischen Übersetzungen aufgrund von Sprachaufbau und Kontext. Neben vielen Tipps in Bezug auf die Gestaltung eines Marktkorrekturprozesses mit Beteiligten aus Japan, dessen Erfolg nach Aussage der Vortragenden vielmehr mit der Art und Weise der Kommunikation als mit der inhaltlichen Aufgabe zu tun hat, wurde mit dem internationalen Publikum eine Umfrage u.a. zum Review von 100% Matches durchgeführt und seinem Nutzen gefragt. Das Thema war vor dem Kontext der Automatisierung, Digitalisierung und Einsatz von MT, insbesondere für Japanisch-Übersetzungen, aufgegriffen worden.

 Hier zwei Ergebnisse:  

Wo steht Japan heute was den Einsatz von neuen Technologien, insbesondere Sprachtechnologie, angeht? Was würden Sie spontan antworten? Laut vielen Vertretern japanischer Sprachdienstleister mit denen wir gesprochen haben, liegt die japanische Sprachbranche weit hinter den USA und Europa. Die Einführung von neuen Technologien und das Verlassen gewohnter Wege schreitet nur langsam voran. Das liegt offenbar, wie auch in einem sehr interessanten Vortrag von Kaori Sasaki über „Our Work in the Diversity Era“ analysiert, an der besonders hohen sozialen Stellung, die in der japanischen Kultur der älteren Generation und dadurch oftmals hierarchisch Höhergestellten, eingeräumt wird.  

Erstaunlich eigentlich, dass die Hauptthemen, Sorgen und Ängste in Bezug auf die Zukunft der Übersetzung trotz so hochtrabender Themen wie KI, Big Data, Internet of Things etc. die gleichen wie sie schon seit Einführung von CAT-Technologien sind.

Erstaunlich auch, dass trotz der Aktualität dieser Themen, wie auch Machine Translation, viele Fragen rund um die Rationalisierung von Übersetzungen in der Branche offen bleiben. Auch die 36. LocWorld konnte keine Antworten darauf geben, keine wirkliche Innovation aufzeigen, geschweige denn ein Ablaufdatum der humanen Übersetzungs- und Lokalisierungsleistung nennen. Es bleibt wohl noch eine Weile ein People Business. Und wie so oft zeigen Gespräche mit FachkollegInnen, auch auf dem asiatischen Markt, dass jeder sein Geschäft anders begreift, Kundenservice und Qualität anders definiert, und von ein und den gleichen Technologien unterschiedlich Gebrauch macht.

Eins ist auf jeden Fall sicher, es bleibt weiterhin spannend, und so war es auch auf der 36. LocWorld in Tokyo.

olivia.sas[at]neo-comm.ch