Das kommt mir Spanisch vor

Das kommt mir jetzt aber Spanisch vor: ¿Qué pedo, güey?[1], ¿Cómo estás, tío?[2], ¿Qué onda, boludo?[3]

Hätte sich Kolumbus damals nicht verfahren, wer weiss, was für ein Spanisch man heute in Indien sprechen würde. Aber auch so kann einem Spanisch schon mal Spanisch vorkommen, je nachdem in welchem der auf vier Kontinente verteilten rund 20 Länder man sich befindet, in denen Spanisch offizielle Amtssprache bzw. anerkannte Minderheitensprache ist.[4]

Spanisch hier und da

Grob gesagt, lässt sich die spanische Sprache in eine europäische und eine lateinamerikanische Variante unterteilen. Spätestens im Zuge der „independencia“ von der Kolonialmacht Spanien vor gut 200 Jahren hat dann auch das in der neuen Welt gesprochene Spanisch begonnen, sich unabhängig von seiner europäischen „Muttersprache“ zu entwickeln. So kam es dann auch dazu, dass in Lateinamerika eine Vielzahl an „regionalismos“ entstanden sind: regionale Ausprägungen der Sprache in den neu gebildeten Ländern.

Grundsätzlich unterscheidet sich das Spanisch, an das man bei uns für gewöhnlich zuerst denkt, phonetisch und grammatikalisch von seinen „Ablegern“ jenseits des grossen Teichs. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl idiomatischer Unterschiede, so wie wir sie beispielsweise von den Varietäten der deutschen Sprache kennen.[5]

Auf all diese Feinheiten und Unterschiede soll in diesem kleinen Blogeintrag einmal etwas näher eingegangen werden.

Ist das jetzt ein „s“, „c“ oder gar ein „z“?

Diese Frage kann sich einem stellen, wenn man lateinamerikanisches Spanisch hört. Dieses unterscheidet nämlich anders als das europäische Spanisch phonetisch nicht zwischen diesen drei Buchstaben, wenn sie vor den Vokalen „e“, „i“ bzw. „u“ stehen. Im europäischen Spanisch hingegen werden „c“ und „z“ vor den drei genannten Vokalen in etwa wie das englische „th“ ausgesprochen. Diese mangelnde phonetische Unterscheidung kann bei manchen Sprechern zusätzlich zu Schwierigkeiten bei der Orthografie führen.[6]

Am Río de la Plata hat sich zudem eine weitere phonetische Variante herausgebildet: „y“ und „ll“ werden in Argentinien sowie Uruguay vor Vokalen in etwa wie ein deutsches „sch“ statt wie ein „j“ ausgesprochen. Zudem gibt es Regionen Argentiniens, in denen auch das „r“ vor Vokalen in etwa wie ein deutsches „rsch“ gesprochen wird.

Aus sechs mach fünf

Verwendet man in Spanien sechs Personalpronomen, so sind es in Lateinamerika nur fünf. Das eigentlich formelle „Ustedes“ verwendet man dort sowohl in der zweiten als auch dritten Person Plural, ähnlich dem englischen „you“. Auch was den Gebrauch der Zeiten anbelangt, gibt es einen erheblichen Unterschied; in den meisten Ländern wird (fast) ausschliesslich das Imperfekt und so gut wie nie das Perfekt verwendet; ähnlich wie im amerikanischen bzw. britischen Englisch.

Ein Beispiel für einen „regionalismo“ stellt der sogenannte „voseo“ dar. Dieser wird vor allem in Argentinien, Uruguay sowie Paraguay, aber auch einigen anderen Ländern Süd- und Mittelamerikas, gesprochen. So lautet die zweite Person Singular nicht „tu“, sondern „vos“.[7] Auch die Akzentuierung ist dann für gewöhnlich eine andere: „vos manejás“ statt „tu manejas“.

Spanisches Babylon?

Wie bereits erwähnt, hat sich im Laufe der Jahrhunderte nach Eintreffen des ersten „spanischen“ Entdeckers ein Spanisch in der alten Welt und ein Spanisch in der neuen Welt entwickelt.[8] Um die daraus resultierenden idiomatischen Unterschiede aufzuzeigen, lässt sich das im vorherigen Abschnitt verwendete Beispiel zum „voseo“ heranziehen. Unter „manejar“ versteht man jenseits des grossen Teichs für gewöhnlich „(Auto) fahren“, was man in Spanien mit „conducir“ ausdrückt. In Spanien hingegen würde man „manejar“ primär als „(ein Unternehmen) leiten“ verstehen.

Weitere Beispiele sind aus dem technischen Bereich die Begriffe für „Handy“, „Computer“ und „Auto“: „móvil“, „ordenador“ und „coche“ in Spanien heissen in den meisten lateinamerikanischen Ländern „celu(lar)“, „compu(tadora)“ und „carro“ bzw. „auto(móvil)“. Auch für einen mittlerweile vielleicht schon nicht mehr ganz so häufig genutzten Alltagsgegenstand, den Stift, gibt es verschiedene Begrifflichkeiten: „bolígrafo“ in Spanien „lápiz“ in Chile und „lapicera“ in Argentinien.

Und auch die verschiedenen indigenen Gruppen des Kontinents haben dafür gesorgt, dass man sich trotz einer gemeinsamen Sprache auch heute vielleicht immer noch nicht aufs erste Wort versteht. Aus dem Quechua, der Sprache der Inka, die vor allem im heutigen Peru lebten, stammt „choclo“, was „Mais“ bedeutet. Dies verwendet man in den meisten Ländern Südamerikas anstelle vom sonst üblichen „maíz“. Ebenso kommt der Begriff „palta“ aus der Sprache des Inkareichs. Er wird anstelle von „aguacate“, dem sonst üblichen Wort für „Avocado“, gebraucht. Um den andinen kulinarischen Exkurs abzuschliessen: „Bohnen“ werden in Südamerika „porotos“ genannt, was dem Quechua entstammt. In Spanien heissen sie hingegen „judías“ und in Nord- und Mittelamerika „frijoles“.

Das in Mexiko beheimatete Nahuatl, das von den Azteken gesprochen wurde, hat ebenfalls seine Spuren hinterlassen. So bezeichnet man in Mexiko einen „Markt“ als „tianguis“. Für gewöhnlich lautet dieser auf Spanisch „mercado“. Das bereits erwähnte Wort für Avocado entstammt ebenso dem Nahuatl wie die spanische Bezeichnung für „Kaugummi“: „chicle“.

Der Vollständigkeit halber sei auch erwähnt, dass es noch ausreichend Beispiele aus dem nicht zitierfähigen Bereich gibt. Auf diese wird der guten Ordnung halber hier jedoch nicht näher eingegangen.

Wem es jetzt aber doch unter den Nägeln brennt, einfach mal den „Klassiker“ diesbezüglich online recherchieren: „coger“ und seine Verwendung in Spanien bzw. Lateinamerika.

Und für ganz Wissbegierige als kleine Zugabe und Beleg dafür, dass es auch in Lateinamerika zu solchen Doppeldeutigkeiten kommt: „concha“ und die unterschiedlichen Bedeutungen in Argentinien bzw. Mexiko. Dazu sich am besten noch eine Situation bei Tisch mit Vertretern beider Länder vorstellen, die aber nur die Bedeutung des Wortes in ihren jeweiligen Ländern kennen. Buen provecho[9]

Auch Sie sprechen Taíno und Nahuatl– schon gewusst?

Obwohl die indigenen Bevölkerungen in den spanischsprachigen Ländern Lateinamerikas nahezu verschwunden sind, gibt es dennoch das ein oder andere Wort, das nicht nur im Spanischen an sie erinnert.

Das Wort „Mais“, auf Spanisch „maíz“, hat seine Wurzeln im Taíno, das unter anderem auf Kuba, der dominikanischen Republik und Puerto Rico beheimatet ist.

Und auch die folgenden Begriffe aus der Sprache der Azteken haben es über die Grenzen Mexikos und der spanischen Sprache hinaus geschafft: Guacamole, Mezcal, Schokolade und Tomate.

Einmal Genua und zurück

Neben Wörtern aus den indigenen Sprachen haben Worte aus weiteren europäischen Ländern in Folge von Migration Einzug in das vor Ort gesprochene Spanisch gefunden.

In Chile lässt sich dank der deutschen Einwanderer auch heute noch zum Nachtisch ohne Weiteres ein „kuchen“[10] bestellen. Im Süden des Landes hat sich darüber hinaus noch eine ganz eigene Besonderheit herausgebildet: „Launa Deutsch“ oder „Lagunendeutsch“.[11] Diese ist, vereinfacht ausgedrückt, eine Verschmelzung deutscher und spanischer Wörter ähnlich dem vor allem in den USA anzutreffenden „Spanglish“.[12]

In Chiles Nachbarland Argentinien kann man wiederum einen starken Einfluss des Italienischen feststellen. Ohne Probleme kann man statt der üblichen „cerveza“ dort eine „birra“ ordern und erhält den gewünschten Gerstensaft. Um auszudrücken, wie toll man jemanden oder etwas findet, sagt man dort auch gerne mal „sos un grosso“ bzw. „qué grosso“. Des Weiteren bezeichnen sich die Anhänger des weltberühmten Fussballclubs CA Boca Juniors unter anderem als „xeneizes“. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Club seine Heimat im Hafen von Buenos Aires, La Boca, hat. Dort fanden vor allem viele Genuesen („xeneizes“ in deren Dialekt) eine neue Heimat.[13]

Und somit wären wir quasi auch schon wieder ganz am Anfang der Geschichte angelangt …

Wir freuen uns auf Ihre Kommentare, Fragen, Anregungen: neoni[at]neo-comm.ch

 

 

[1] Mexikanisch für: „Was geht, Alter?“, umgangssprachliche Floskel zur Begrüssung

[2] Spanisch für: „Was geht, Alter?“, umgangssprachliche Floskel zur Begrüssung

[3] Argentinisch für: „Was geht, Alter?“, umgangssprachliche Floskel zur Begrüssung

[4] Afrika (Nord- und Subsahara-Afrika), Amerika (Nord-, Mittel- und Südamerika), Asien (Südostasien) und Europa

[5] So haben beispielsweise hier in der Schweiz sich nicht nur Schulkinder Ferien verdient, sondern auch Berufstätige. Um als Schweizer einmal Urlaub zu haben, muss man dann schon zum Militär.

[6] Es gibt aber auch Gegenden im Süden Spaniens, wo diese phonetische Unterscheidung ebenfalls nicht stattfindet.

[7] Folglich heisst „du bist“ dann „vos sos“ und nicht „tu eres“.

[8] Kolumbus selbst war bekanntlich Genuese und somit kein spanischer Muttersprachler.

[9] „Guten Appetit“ auf Spanisch

[10] Wird in etwa wie das deutsche „Kutschen“ ausgesprochen

[11] Für Interessierte hier ein Artikel auf Spanisch dazu: https://www.dw.com/es/el-alema%C3%B1ol-del-sur-de-chile/a-19541116

[12] Eine weitere solche Verschmelzung des Deutschen in Lateinamerika gibt es übrigens auch in Brasilien: Das sogenannte „Riograndenser Hunsrückisch“ oder „Hunsriqueano riograndense“, das man vor allem in Rio Grande do Sul spricht und eine Verschmelzung von Portugiesisch und Deutsch darstellt. Für Interessierte hier zwei Artikel auf Portugiesisch dazu:

https://www.dw.com/pt-br/o-alem%C3%A3o-lusitano-do-sul-do-brasil/a-1174391

https://www.dw.com/pt-br/dialeto-hunsr%C3%BCckisch-do-sul-do-brasil-ganhar%C3%A1-atlas-ling%C3%BC%C3%ADstico/a-2903147

[13] Ein Kuriosum am Rande: Die Farben des Clubs lassen sich wiederum auf die Farben Schwedens zurückführen. Bei Gründung des Clubs soll im Hafen ein Schiff, das unter schwedischer Flagge fuhr, vor Anker gelegen haben. Unsere Welt war also auch vor mehr als hundert Jahren schon eine globalisierte.