Bilingualismus und Translation

Um als Übersetzer _in tätig zu sein, muss man unter anderem mindestens zwei Sprachen auf eine sehr hohen Niveau – idealerweise Muttersprachenniveau – beherrschen. Man könnte behaupten, “Jackpot! Jeder Bilinguale ist ein geborener Übersetzer”, denn eine bilinguale Person beherrscht zwei Sprachen auf demselben Niveau, und zwar in Wort und Schrift. Ist das in der Tat so, dass jede zweisprachig aufwachsende Person automatisch ein guter Übersetzer ist? Um diese Frage zu beantworten, werden in diesem Beitrag in erster Linie die Vor- und Nachteile der Zweisprachigkeit gegenübergestellt und im Anschluss wird auf die Verbindung zwischen Bilingualismus und Translation eingegangen.

Vorteile des Bilingualismus:

Bilinguale verfügen über ausgezeichnete linguistische Fähigkeiten, hervorragendes Feingefühl für Sprache, sind flexibler im kognitiven Bereich als monolinguale Personen und können sich sprachlich gut ausdrücken. Bereits im Kindesalter werden zweisprachig Aufwachsende mit unterschiedlichen Gesprächsstilen konfrontiert, was dazu führt, dass solche Kinder geübter sind sprachliche Missverständnisse zu entdecken und diese zu korrigieren und somit anspruchsvolle Kommunikationssituationen besser bewältigen als einsprachige Kinder. Ebenso gelingt es Ersteren besser die Aufmerksamkeit auf mehrere Dinge simultan zu richten, was zusätzlich die Konzentration positiv beeinflusst. 

Nachteile des Bilingualismus:

Es ist kein Geheimnis, dass Bilingualismus signifikante Vorteile in der Berufswelt und Wirtschaft hat, aber auch auf der persönlichen und kognitiven Ebene den einzelnen Menschen bereichert. Nun, zweisprachig zu sein, kann auch manchmal Nachteile mit sich bringen: Bei bilingual aufwachsenden Kindern kommt es vor, dass ihr Wortschatz nicht so ausgebaut ist wie bei ihren einsprachigen Altersgenossen, sie benutzen häufiger unpassende Wörter oder falsche Satzkonstruktionen und wechseln während der Konversation öfter in eine andere Sprache. Nicht nur das Switchen von einer Sprache in die andere kann bei zweisprachig aufwachsenden Personen zum Problem werden, sondern auch die damit verbundenen Merkmale einer Sprache, die in die andere mittransportiert werden. Diese beidseitige Interferenz zwischen den beiden Sprachen kann sich in der Aussprache, der Grammatik und der Wortbedeutung bemerkbar machen. In der Translation ist es umso wichtiger die Unterscheide und Gemeinsamkeiten zweier Sprachen zu erkennen, denn davon hängen die Übersetzungsfähigkeit ab.

Bilingualismus und Translation:

Eine Übersetzung wird also von den Eigenschaften ihres Übersetzers/ihrer Übersetzerin sowie seinen Sprachkenntnissen beeinflusst. Dies ist daran erkennbar, dass Übersetzungen einer zweisprachigen Person oft nicht den Wörterbucheinträgen entsprechen, da die Wortbedeutung von kognitiven und emotionalen Komponenten des Bilingualen abhängen. Zweisprachige Personen übersetzen daher auf eine ganz natürliche Art und Weise indem sie sich automatisch beim Wechseln von der einen Sprache in die andere auch in die jeweilige Kultur hineinversetzen. Das ist für Bilinguale keine große Herausforderung, da sie bereits in frühen Jahren nicht nur zwei Sprachen, sondern auch zwei Kulturen verinnerlichen. Gerade beim Übersetzen gilt es auch die kulturellen Aspekte besonders zu berücksichtigen, um diese im Zieltext korrekt übermitteln zu können. Ein weiterer Mehrwert von Bilingualismus für die Translation ist, dass betroffene Personen die Fähigkeit und das Feingefühl besitzen, Sachverhalte besonders gut zu erfassen und zu erahnen was diese implizieren.

Zweisprachige Personen haben jedoch nicht automatisch die Gabe zum Übersetzen. Oft mangelt es an analytischen und linguistischen Fertigkeiten und manchmal kämpfen Betroffene damit, keine der beiden Sprachen gut genug zu beherrschen, um sich mit komplexen Texten auseinanderzusetzen und diese in eine andere Sprache zu transferieren. Aber nicht nur ausgezeichnete Sprachkenntnisse machen eine gute Übersetzerin aus, sondern auch die erstaunliche Eigenschaft, sich in eine andere ethnische Gruppe – seine Zielkultur – hineinzuversetzen, sich deren kulturellen Hintergrund bewusst zu sein und diesen in der Übersetzung zu berücksichtigen. Und dies muss nun einmal auch in Form von Übersetzungsmethodik in Form einer Ausbildung erlernt und später in der Praxis trainiert werden.

Fazit:

Zweisprachigkeit ist wichtig und von Vorteil, reicht aber trotz der engen Verbindung mit Translation für eine professionelle Übersetzung nicht aus. Um ein_e gute_r Übersetzer_in zu werden, sind fundierte Kenntnisse über die Ausgangs- und Zielkultur sowie die Ausbildung unbedingt erforderlich.

 
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