Gendern

Gender, also das soziale Geschlecht, gehört heutzutage immer mehr zum Alltag. Frauen, Männer und Diverse werden in den meisten westlichen Ländern im gesellschaftlichen, juristischen und beruflichen Leben gleichermassen wahrgenommen und anerkannt. Damit ändert sich mit der Zeit auch unsere Sprache.

Es gibt Sprachen, die von Natur aus über eine eher geschlechtsneutrale Struktur verfügen. Man denke zum Beispiel an Englisch: der einzige bestimmte Artikel „the“ wird sowohl für männliche als für weibliche und sächliche Nomen verwendet. Auch die meisten Berufsbezeichnungen kann man nur in einer Form vorfinden, die keinem Geschlecht zugeordnet ist (teacher, translator, doctor …). Ausnahmen bestätigen die Regel (waiter – waitress, steward - stewardess), aber prinzipiell kann man sagen, dass das sprachliche Differenzieren der Geschlechter für Englischsprachige kein besonderes Thema darstellt.

Anders ist es für Deutsch: hier neigte man über Jahrzehnte dazu, mit der männliche Person auch die weibliche „mitzumeinen“. Also die Mitarbeitende mit „Liebe Kollegen“ oder die Studierende mit „Liebe Studenten“ anzusprehen, obwohl die Gruppe gleichermassen oder sogar hauptsächlich aus weiblichen Teilnehmerinnen bestand? Die Sprachregel lautet nämlich, dass man bei auch nur EINEM männlichen Teilnehmer, die gesamte Gruppe mit männlichen Bezeichnungen definieren kann.

Mittlerweile ist es allerdings auch im Deutschen üblich zu gendern oder eine geschlechtsneutrale Sprache zu verwenden, um alle drei Geschlechter gleichermassen anzusprechen.

Auffallend ist aber, dass es weniger mit der deutschen Sprache zu tun zu haben scheint, als mit der in der jeweiligen Gesellschaft vorherrschenden Kultur. In Südtirol beispielsweise, wo die meisten Menschen Deutsch als Muttersprache haben, ist man von einer geschlechtsneutralen Sprache (wie im Rest Italiens) noch weit entfernt. Nicht nur in der Alltagssprache, sondern auch in den Medien, wird in Südtirol kaum gegendert. Es ist zum Beispiel üblich, dass man in einem Geschäft mit Damenbekleidung als „Liebe Kunden“ über Lautsprecher angesprochen wird, oder dass die Schulleitung sich nur mit „Liebe Schüler“ an die Klassen wendet. Trotzdem fühlt sich niemand benachteiligt oder missachtet und beim direkten Ansprechen des Themas ist die Reaktion eher verwundert als einsichtig.

Und so sehen wir, dass Sprache nicht gleich Sprache ist und dass einige Merkmale, die wir mit einer Sprache verbinden, viel mehr etwas über die Kultur und die Weltanschauung der Sprecherinnen und Sprecher als über die Sprache aussagen.

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